Interview Prof. Dr. Sven Jochem: „Beziehen Sie Position!“

An der Uni wie auch an der Schule sind Referate fester Bestandteil des Lernens und damit auch eine Art der Prüfung, vor allem in Seminaren.

Was gerade im Uni-Umfeld zu einem guten Referat und einer guten Präsentation gehört, darüber habe ich mit Sven Jochem gesprochen.

Besonders interessant war die Abgrenzung zwischen einem Referat an der Schule und dem, was an der Uni von Dir noch zusätzlich erwartet wird.

Bei Professor Jochem hatte ich im Sommersemester 2016 ein Seminar zu „Demokratie und Kapitalismus“ besucht und dort ein Referat mit einer Kommilitonin über Karl Polanyi und dessen Werk Great Transformation gehalten.

Nicolas Binder: Hallo Herr Jochem, schön, dass Sie sich für dieses Interview Zeit nehmen. Bitte stellen Sie sich doch kurz vor.

Sven Jochem: Gerne. Ich bin Sven Jochem, seit 2011 außerplanmäßiger Professor hier an der Universität Konstanz am Fachbereich Politik- und Verwaltungswissenschaften. Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Wohlfahrtsstaatliche Reformen in Europa, Politik und Gesellschaft in Skandinavien oder auch Demokratietheorien. Aktuell gebe ich sowohl Proseminare als auch Vertiefungsseminare gerade zu diesen Bereichen hier im Bachelorstudiengang.

Nic: In welchem Rahmen werden in Ihren Veranstaltungen Referate gehalten und wie lange dauern diese in der Regel?

SJ: Als ich die Vorlesung über Staats- und Demokratietheorien gab, habe ich die Studenten Gruppenarbeiten machen lassen. Einer aus der Gruppe sollte dann an die Tafel vor und präsentieren. Am Anfang war die Begeisterung nicht so groß, aber es kamen doch ganz gute Dinge dabei raus.

Mittlerweile biete ich Seminare an; da gibt es Vorträge von 15 bis eher 20 Minuten. In diesen 20 Minuten kann man am Ende gut Position beziehen und danach noch eine Diskussion in der Gruppe anzetteln, bei der man auch selbst nochmal das Wort ergreifen kann. In so einem Seminar spielt auch die Gruppengröße eine Rolle. Je kleiner die Gruppe ist, desto höher ist meist der Druck, sich auch an den Diskussionen zu beteiligen und am Ball zu bleiben.

Manchmal sind die Referate in den Seminaren auch Gruppenreferate. Da ist natürlich die Koordination besonders wichtig und auch schwer. Man muss sich hier aufeinander verlassen können. Ich finde, dass man in der Schule lieber Einzelreferate halten sollte, weil gerade für Schüler diese Koordination doch recht schwer sein kann und die Gefahr von Trittbrettfahrern hoch ist.

Nic: Kommen wir gleich mal zur zentralen Frage: Was macht denn für Sie einen sehr guten Vortrag aus, auf was achten Sie besonders? Oder auch in der Negativ-Variante: Was ist für Sie ein No-Go?

SJ (lacht): Na, ein No-Go wäre, wenn man beim Vortrag einschläft! Puh, und sonst… (überlegt)…Empathie! Schlecht wird’s oft, wenn Sie nicht mit dem Herz, Spaß und Freude dabei ist. Es sollte zumindest kein Herunterleiern sein. Eine gewisse Portion Spaß tut da gut.

Dann müssen natürlich auch die Formalitäten stimmen, zum Beispiel Namen sollten richtig geschrieben sein, da sollten keine Flüchtigkeitsfehler passieren. Das Handwerkszeug muss schon sitzen. Dazu gehört vor allem auch das Zeitmanagement, also zum einen die Einteilung während des Vortrags als auch überhaupt die Einhaltung des Zeitlimits. Nicht passieren sollte, dass Sie irgendwann ganz schnell durch die Folien klicken müssen, weil die Zeit davon gelaufen ist.

„Ich bin Puritanier!“Sven Jochem

Die Folien selbst sollten zudem „sauber“ aufgebaut sein. Der Inhalt ist da schon viel wichtiger als irgendwelche technisch aufwendig animierten Effekte bei Powerpoint. Da bin ich Puritanier! Reduzieren Sie lieber bei Powerpoint. Wichtiger als Effekte ist, dass spannend vorgetragen wird, dass man sich also einen Kopf macht, wie man die Infos interessant rüberbringen kann. Sie sollten dabei nicht nur aufzählen, aufklären oder replizieren, sondern auch Fragen nach dem „Warum“ beantworten.

Was vor allem mir bei einem guten Vortrag besonders wichtig ist: Eine These!

Nic: Stimmt. Das haben Sie auch im Seminar betont.

Ja, klar. Am Ende möchte ich nicht die typischen offenen Fragen, sondern ich möchte, dass Sie eine These formulieren, dass Sie Position zu dem Thema beziehen. Das ist auch einer der Unterschiede zur Schule. Gehen Sie über das Aufzählen von Pro und Contra aus der Schule hinaus und stellen Sie Ihre eigene Position vor. Ersetzen Sie das Fragezeichen durch ein Ausrufezeichen. Ich liebe das Ausrufezeichen! Machen Sie sich angreifbar, gerade auch für die Diskussion nach dem Vortrag.

Gehen Sie über das Pro und Contra hinaus und beziehen Sie Position!Sven Jochem

Die hohe Kunst des Vortragens ist es noch, wenn Sie auswendig vortragen, oder so frei es geht. Üben Sie, die Karteikarten liegen zu lassen. Wenn Sie statt der Karteikarten was in den Händen gegen die Nervosität brauchen, dann zum Beispiel einen Pointer oder Presenter. Ich hatte manchmal einen Kugelschreiber in der Hand, mit dem hab‘ ich aber oft geklickt und am Ende hatte ich lauter Punkte auf der Hand. Da ist so ein Pointer oder so ein Presenter doch besser.

Was auch noch gut kommt, ist, wenn Sie auf Fragen vorbereitet sind. Manche Fragen können Sie schon im Voraus antizipieren und sich Antworten dazu überlegen oder sogar eine Folie vorbereiten. Wenn Sie auf eine Frage noch eine zusätzliche Folie hätten, dann würde das schon Eindruck machen.

Nic: Sie haben Nervosität gerade angesprochen: Was können Sie noch gegen Nervosität empfehlen?

Versuchen Sie vor dem Vortrag, die Nervosität in produktive Bahnen zu lenken. Nervosität ist ganz normal vor einem Vortrag, der ja meist auch eine Prüfungssituation mit Benotung ist. Da ist es klar, dass man nervös ist. Ich denke, eine Grundanspannung ist sogar förderlich für die Leistung.

Sagen Sie sich zum Beispiel: It’s showtime! Vergegenwärtigen Sie sich, dass Sie gut vorbereitet sind und jetzt für diese 15 Minuten eine Art Schauspieler sind. Sie sind in dem Moment der Wissensvermittler, der über das Thema bescheid weiß.

Nic: Gerade hier an der Uni Konstanz wird gerne und viel mit Daten gearbeitet. Wie kann es aus Ihrer Sicht hier gelingen, dass man die Zuhörer nicht „erschlägt“?

SJ: Ich bin nicht aus dem Bereich wie andere hier am Fachbereich. Aber ich denke, dass es wichtig ist, nicht nur zum Beispiel die Tabellen zu zeigen, sondern auch die Probleme beim Operationalisieren anzusprechen, Alternativen zu benennen, auf handwerkliche Probleme aufmerksam zu machen und zu fragen, wie valide die Daten sind.

Nic: Machen Sie sich während des Vortrags der Studenten Notizen? Haben Sie dabei eventuell eine Art Bewertungsskala vor sich liegen?

SJ: Ja, Notizen mache ich mir. Die sind vor allem für das Gespräch nach dem Vortrag, bei dem ich sage, was mir gut gefallen hat und was nicht so. Dieses Gespräch ist mir letztendlich wichtiger als die Note. Denn da gebe ich Rückmeldung dazu, wo Sie noch daran arbeiten können, um besser zu werden. Versuchen Sie da dem Fluchtreflex nach dem Vortrag zu widerstehen und nur zu denken, „gut, dass ich es hinter mir habe“.

Eine Skala für die Dinge, die ich bei einem guten Vortrag erwarte (siehe oben, Anm.), habe ich keine. Das passt für so etwas wie „Herzblut“ oder „Stimme modulieren“ nicht.

Ich bin sogar hin und her gerissen, ob überhaupt eine Benotung für die Referate hier nötig ist. Ich gebe auch eher positive Noten. Man muss kein phantastischer Redner sein, um ein sehr guter Wissenschaftler zu sein. In der Wissenschaft zählt vor allem das Schriftliche, das muss top sein. Auch wenn das Präsentieren immer wichtiger wird.

Nic: Haben Sie eine bestimmte Vorliebe für ein Präsentationsmedium oder eine Vortragsart? Oder umgekehrt gefragt: Ist es Ihnen mittlerweile zu viel Powerpoint?

SJ: Ich lasse den Studenten das Medium offen, weiß aber, dass Powerpoint heutzutage schon fast Pflicht ist. Powerpoint ist für das frei Sprechen oft eine gute Unterstützung. Ich habe aber schon bei Lehrämtlern/innen gesehen, dass sie Papierkartons beschriften und an die Tafel pinnen. Das ist die Ausnahme, kann aber auch gut sein.

Powerpoint gegenüber bin ich eher emotionslos. Powerpoint darf allerdings kein Selbstzweck werden. Für andere Arten wie Tageslichtprojektor bin ich wie gesagt offen.

Nic: Steht für Sie die Note meist gleich nach dem Vortrag fest oder schlafen Sie eine Nacht darüber?

SJ: Die Note steht gleich fest. Da zwinge ich mich dazu, damit der Eindruck nicht verloren geht. Teilweise ist es so, dass schon nach kurzer Zeit während des Referats die Tendenz schon klar ist, ob es gut ist und bleibt oder eben nicht. Oft sind die Vorträge hier in Konstanz schon im guten oder sehr guten Bereich; ich versuche hier dann vor allem inhaltlich zu folgen, statt zum Beispiel Sachen auf einer Skala einzuordnen oder zu notieren.

Nic: Wie ist das Verhältnis „Inhalt zu Darstellung“ zu gewichten? Kann man das überhaupt objektiv trennen?

SJ: Inhalt zu Darstellung kann man schon trennen. Der Inhalt kann durchaus nicht überzeugen trotz einer tollen Darstellung. Aber klar, die Urteilskraft wird schon tangiert in Richtung „Auge zudrücken“ durch die optische und verbale Darstellung. Aber zerbrechen Sie sich da lieber den Kopf über Ihre Position als über technische Finessen!

Nic: Was ist denn aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zwischen einem Vortrag an der Uni und einem Referat in der Schule? Ist es gerade die von Ihnen geforderte Position am Ende?

SJ: Ja, genau. Dieses Position-Beziehen und das Hinterfragen über das Schulbuchwissen hinaus macht eine Uni Präsentation aus. Auch das Risiko, sich verletzbar zu machen und sich in einer Diskussion zu positionieren spielt hier eine Rolle. In der Schule ist hier mehr das nachprüfbare, „sichere“ Wissen gefragt, während es an der Uni schon darüber hinaus gehen sollte, in Form von einer Auseinandersetzung mit den Quellen.

Nic: Herr Jochem, vielen Dank für dieses Interview.

Sehr gerne!

Quellen/Weiterlesen

Uni Konstanz: Prof. Dr. Sven Jochem

Eigener Blog (passende Auswahl): 5 Powerpoint-Learnings und Weglassen – Eine hohe Kunst und Infotainment und Aufbau eines tollen Vortrags

Bildquelle

Titelbild: abcdef

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